Angststörung
Was tun, wenn irreale Ängste die Lebensqualität, Ausbildung und Karriere beeinträchtigen?
Von einer Angststörung spricht man bei Ängsten, die ohne reale Ursache oder stark übersteigert auftreten und sich die Betroffenen zudem der Irrealität ihrer Ängste bewusst sind.
Obwohl es sich um offensichtlich unbegründete Ängste handelt, können sie die Lebensqualität massiv beeinträchtigen und das berufliche und akademische Vorankommen erheblich behindern, denn die irrealen Ängste unterscheiden sich von einer realen Angst weder in der Qualität noch in der körperlichen Reaktion.
Wirklich unbegründet ist eine Angstneurose allerdings nicht. Eine neurotische Angst ist genauso sinnvoll wie eine reale Angst, weil sie ein Hinweis darauf ist, dass im Leben und in der Tiefe der Seele etwas nicht ganz stimmt.
Bei einer Angststörung ist ein Coaching, eine psychologische Beratung oder eine Lebensberatung nicht geeignet, sondern es braucht eine Psychotherapie oder klinisch-psychologische Behandlung, um diese tieferen Unstimmigkeiten im Leben bzw. in der Tiefe der Seele zu bearbeiten.
Klassifikation und Diagnose von Angststörungen
Phobie
Bei Phobien wird die Angst durch eine eigentlich ungefährliche Situation hervorgerufen. Typische Angstsymptome sind Herzklopfen, Schwächegefühl, Kontrollverlust bis hin zum Gefühl, wahnsinnig zu werden. Die Vorstellung über das mögliche Eintreten einer phobischen Situation erzeugt bereits Erwartungsangst.
Meist ist der Angstauslöser streng begrenzt auf konkrete Situationen und Objekte wie bestimmte Tiere, Höhe, Flugreisen, große Plätze oder enge Räume. Von den Betroffenen werden diese angstauslösenden Situationen üblicherweise vermieden.
Soziale Phobie
Eine übersteigerte bzw. unbegründete Angst vor bestimmten Situationen der sozialen Interaktion und die Furcht vor Kritik und prüfender Betrachtung durch andere Menschen wird soziale Angststörung oder soziale Phobie genannt. Abzugrenzen ist hier zwischen einer Sozialphobie und der normalen Anspannung in schwierigen oder ungewohnten Situationen.
Prüfungsangst und Präsentationsangst
In manchen Fällen von Prüfungsangst, Lampenfieber und Redeangst handelt es sich ebenfalls um eine Sozialphobie, wenn es dabei um eine übersteigerte Angst vor Bewertung, Kritik und prüfender Betrachtung geht. Das Lampenfieber vor Auftritten und die typische Nervosität vor schwierigen Prüfungen hat jedoch selten etwas mit einer Angststörung zu tun.
Agoraphobie
Die Agoraphobie hat ihren Namen von der altgriechischen Bezeichnung für Versammlungs- und Marktplatz (αγορα). Menschen mit Agoraphobie fürchten sich demnach in Menschenmengen und auf öffentlichen Plätzen zu sein. Die Phobie kann sich auch auf die Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln beziehen. Die Angstproblematik kann harmlos beginnen und sich mit der Zeit soweit steigern, dass die Betroffenen ihre Wohnung nicht mehr verlassen können.
Panikattacken
Panikattacken bzw. Angstattacken sind intensive Ängste, die nicht vorhersehbar sind. Im Gegensatz zu Phobien treten sie in unterschiedlichsten Situationen auf. Typische Symptome einer Panikattacke sind Herzklopfen, Brustschmerz, Erstickungsgefühle, Schwindel und Entfremdungsgefühle, oft verbunden mit der Befürchtung, zu sterben, die Kontrolle über sich zu verlieren oder wahnsinnig zu werden.
Generalisierte Angststörung
Von einer generalisierten Angststörung spricht man, wenn die Angst generell und anhaltend auftritt und nicht auf bestimmte Umgebungsbedingungen beschränkt ist. In der Fachsprache wird die Angst als “frei flottierend” bezeichnet. Die wesentlichen Symptome sind Nervosität, Zittern, Muskelspannung, Schwitzen, Benommenheit, Herzklopfen, Schwindelgefühle oder Oberbauchbeschwerden. Häufig befürchten Patienten, sie selbst oder ein naher Angehöriger könne schwer erkranken oder einen Unfall haben.
Abgrenzung der neurotischen Angststörung zu anderen Ängsten
Die meisten schweren psychischen Störungen sind mit Ängsten verbunden, wobei die Irrealität der Angst weniger bis gar nicht bewusst ist. Solche Störungen sind z.B. paranoide Schizophrenie, Depressionen, posttraumatische Belastungsstörung, Suchterkrankungen und Persönlichkeitsstörungen.
Die bei Alkohol- und Drogenabhängigkeit auftretenden Ängste verschwinden meist nach einer erfolgreichen Entgiftung und Entwöhnung. Es kommt aber auch vor, dass Betroffene einer Angststörung ihre Ängste mithilfe von Alkohol und Drogen bekämpfen wollen und sich auf diese Weise zusätzlich ein Alkohol- bzw. Drogenproblem einhandeln.
Eine selbstunsichere Persönlichkeitsstörung kann leicht mit der sozialen Phobie verwechselt werden, denn bei beiden Störungen ist ängstlich-vermeidendes Sozialverhalten symptomatisch. Allerdings bezieht sich die soziale Phobie auf spezifische Situationen der sozialen Interaktion, während eine tiefere Selbstunsicherheit die gesamte Persönlichkeit umfasst und das zwischenmenschliche Beziehungserleben beeinträchtigt.
Bei somatoformen Störungen (körperliche Erkrankungen mit psychischer Ursache) trägt die Angst vor wiederkehrenden Beschwerden gepaart mit einer übersteigerten Symptomwahrnehmung wesentlich zur Aufrechterhaltung der Krankheit bei.
Psychotherapie
Aufgrund unterschiedlicher Erklärungsmodelle unterscheidet sich die Behandlung von Angststörungen beträchtlich zwischen den psychotherapeutischen Orientierungen. Während eine Verhaltenstherapie mehr Aufmerksamkeit auf Selbstbeobachtung und Überwindung der Angst legt, werden in einer tiefenpsychologisch-psychodynamisch orientierten Psychotherapie die zugrunde liegenden Ursachen und psychodynamischen Hintergründe der Ängste bearbeitet.
In der tiefenpsychologischen Betrachtungsweise von Angst wird die Angststörung als misslungene Lösung unbewusster innerer Konflikte verstanden. Bei generalisierten Angststörungen, sozialen Ängsten und Panikattacken steht im Allgemeinen das Bedürfnis nach einem selbstbestimmten Leben und die Erfüllung lustvoller Bedürfnisse im Konflikt mit der Befürchtung, dadurch geliebte Bezugspersonen zu enttäuschen oder die soziale Anerkennung zu verlieren (Autonomiekonflikt).
Bei spezifischen Phobien besteht meist ebenfalls ein Autonomiekonflikt, allerdings wird die innere Angst unbewusst auf spezifische äußere Objekte oder Situationen verschoben oder projiziert.
Eine Psychotherapie macht den Betroffenen diese Zusammenhänge bewusst und begleitet sie dabei, sich von den vermeintlichen Erwartungshaltungen der geliebten Bezugspersonen und von bedenklichen Idealvorstellungen und Werthaltungen trennen zu können. Angstobjekte verlieren aufgrund der psychotherapeutischen Konfrontation mit den ursprünglichen Angstobjekten oder Situationen ihre bedrohliche Bedeutung.
Im Laufe der Therapie erkennen die Patienten, dass es für ein gelebtes Leben notwendig ist, selbstbestimmt zu leben und weniger nach sozialer Anerkennung zu streben bzw. die Erwartungshaltungen von Bezugspersonen zu erfüllen. Vor der Behandlung führten die Betroffenen in manchen Lebensbereichen eine Art von Ersatzleben mit Ersatzbefriedigungen. Nach und nach trauen sie sich immer mehr, ihre lustvollen Bedürfnisse zu befriedigen und ihre wahren Lebensabenteuer zu realisieren.